… und: Warum es dennoch ganz anders ist
Selbst die Nichtrennsportler kennen Overdose und um kaum ein anderes Pferd der Neuzeit ranken sich solche Mythen und Gerüchte, wie um ihn. Ich selbst habe ihn laufen sehen zu seiner besten Zeit und ich bin immer ein großer Fan des Pferdes gewesen, niemals aber Fan seines Managements.
Als Jungpferd ein waschechtes Schnäppchen (für den Preis kriegt man kein gesundes Reitpferd in dem Alter) auf der Auktion von einem Ungarn zugeschlagen, mit ins Land genommen und wie Phönix aus der Asche aufgestiegen. Unschlagbar, uneinholbar, das Pferd war der Wahnsinn. Obwohl er einen merkwürdigen Galopp hatte, denn Overdose hatte krumme Beine und man hätte meinen sollen, dass der keinen Schritt tun kann.
Er konnte und er wollte. Peitsche? Braucht keiner. Overdose putzte sie alle. Auch an diesem tragischen Tag in Frankreich, als der Prix de l’Abbaye seine Krönung und sein erster Gruppe I Sieg sein sollte. Damals war ich noch uneingeschränkt auf Besitzerseite, denn nach vermurkstem Start und halb abgebrochenem Rennen (was nicht für jeden Jockey ersichtlich war) hatte Overdose das Rennen zwar gewonnen, aber eben auch nicht, denn eine Tür an der Startmaschine hatte sich nicht geöffnet. Einen sichtbaren Rennabbruch für alle gab es jedoch nicht wirklich.
Man bot einen Neustart des Rennens an, doch Overdose und ein paar seiner Kontrahenten waren bereits die Renndistanz mit Höchsttempo gelaufen und man verneinte. Ich fand das toll – der hat Eier. Manch einer wäre jetzt vielleicht trotzdem noch heiß darauf gewesen. Alles richtig gemacht, auch wenn alles schief gelaufen ist.
Die Menschen in Ungarn feierten ihren Helden dennoch und Deutschland tat es ebenso. Ihm war schließlich kein Zacken aus der Krone gebrochen.
Die neue Saison in Ungarn startete vielversprechend, aber Overdose litt an Laminitis. Und hier nimmt das Unglück seinen Lauf. Der Ungeschlagene sollte doch weitermachen, er war immerhin für viel Geld syndikatisiert worden. 15 Monate Pause zwangen ihn in die Knie, aber die Aufbaurennen gewann er wieder. Wenn man sich die rennsportliche Qualität der Rennen ansieht, hat „Dozi“ jedoch nichts geschlagen.
Das sollte sich bei der Goldenen Peitsche in Baden-Baden ändern. Jeder Mensch, der dieses Szenario mitangesehen hat, war sich einig, lasst es gut sein. Die Starthelfer bemühten sich redlich um Overdose, der nicht in die Startmaschine wollte. Das Pferd gab seine Meinung kund – laut und deutlich. Offenbar nicht laut genug für den Besitzer (bevor jetzt jemand sagt, da hätte die Rennleitung eingreifen müssen – die haben eine klare Regelung. Und Overdose wehrte sich sich nicht heftig genug und war auch nicht lahm – damit durfte er teilnehmen). Das Pferd war schon von Beginn an geschlagen und als 7. kam der Unbesiegbare ins Ziel.
Die Menschen in Baden-Baden waren geschockt, die Besitzer ebenfalls (nur haben sie da ganz andere Schlüsse draus gezogen). Ich selbst saß vor meinem PC und habe die Augen geschlossen, sie aber schnell wieder aufgemacht. (Um VNV Nation zu zitieren: „I’m too scared to close my eyes“) Grauenhaft, was aus dem stolzen Tier geworden war.
Fortan wurde Overdose die Lachnummer der Presse, immer wieder Schlagzeilen von Krankheiten, dann größenwahnsinnige Pläne, das Pferd wurde durch die Welt geschifft, obwohl es nicht startete und es wurde auch nicht gesund …
Im November 2011 siegte er ein letztes Mal in Rom – im Training blieb er noch eine ganze Weile, wurde nach Dubai gekarrt, obwohl ihn da schon keiner mehr sehen wollte. Die Leute wollten „Dozi“ nicht mehr auf einer Rennbahn sehen. Sie wollten, dass es endlich ein Ende hat, mit ehrgeizigen Plänen und den klangvollen Reden über das Wunderpferd.
Als er endlich ins Gestüt kam, sprach man nicht mehr wirklich von ihm und seinen ruhmreichen 14 Siegen in Serie. Und man fürchtete sich auch davor, was er nun vererbte: Seinen Speed? Oder seine Krankenakte?
Dennoch – das katastrophale Management fand endlich sein Ende. Als er 2015 nach Deutschland zurückkehrte, überwog die Freude, die Menschen freuten sich wirklich über den schnellen Ungarn und aufgrund der günstigen Decktaxe nahmen sie ihn auch an. Bis er im Juli 2015 völlig überraschend an einer Kolik verstarb. Ein bitteres Ende, wo doch gerade erst alles gut geworden war.
Möchte man so ein Ende für ein Wunderpferd? Ich sehe eine Menge Parallelen zu Totilas. Wunderpferde, alle beide. Viel zu ehrgeiziges Management auf Kosten des Pferdes. Und Menschen, die dem Team dennoch zujubeln. Nur stand Overdose niemals im Interesse der Medien, jedenfalls nicht so wie Totilas. So war die einzige öffentliche Kritik die der Rennsportler selbst, ich kenne nicht einen einzigen Menschen, der diese Geschichte komplett gutheißt (Ein Vollblut mit Hufrehen – das muss man erst mal schaffen!). Während die Massenmedien es immer noch verstehen, die Bewunderung für Totilas zu schüren und die Missstände nicht erwähnen.
Würden wir jetzt Overdoses Geschichte mit Totilas nachstellen, wären wir jetzt gerade in Baden-Baden. Um was wetten wir, dass es mit „Rom“ endet? Schließlich kriegt man doch für ein Pferd im Mittelfeld keine 8000 Euro Decktaxe … Aber bevor wir Rom überhaupt erreichen, müssen wir ja erst einmal den Doktor kommen lassen. Der wird das schon richten. Nur um auf einem kleinen, unwichtigen Turnier noch schnell mit dem Sieg davonzukommen, um die Decktaxe interessanter zu machen.
Foto: Alte Grasbahn