Die größte Lüge eines Reiters ist wohl sicherlich: Das Pferd ist durchgegangen. Denn sind wir mal ehrlich, würden Pferde so häufig durchgehen, wie Reiter es behaupten, gäbe es deutlich mehr Verkehrstote durch Pferde, als es die durch nicht angelegte Gurte gäbe. Denn nur, weil ein Pferd mal buckelt oder ein bisschen schneller galöppelt, ist es eben nicht durchgegangen.

Sieht man ja immer wieder, wenn Reiter einen Vorfall beschreiben. Nehmen wir zum Beispiel meinen Todesstern-Unfall. Wir erinnern uns: Die hat sich im ruhigen Galopp langgelegt, weil sie sich einen Knoten in die Beine gemacht hat. Passiert. War selbst ein bisschen erschrocken darüber.
Noch bevor ich überhaupt vom Krankenwagen abgeholt wurde, kamen da Geschichten bei rum wie: „Die hat sich hingeworfen, absichtlich, die will nicht mehr!“ – „Die war eh schon stocklahm und jetzt hat das Bein nachgegeben“ … und so weiter und so fort. Denn Reiter sind ja Drama Queens. Das „schlimme“ Bein, haben wir übrigens bis zum bitteren Ende nicht gefunden.

Wenn ich also ehrlich bin, habe ich selber genau zwei Pferde gesehen (live, nicht auf Videos), die wirklich und ehrlich ihrem absolut natürlichen Trieb gefolgt sind und knallhart durchgegangen sind. Eigentlich können wir froh sein, dass es SO selten passiert. Bedeutet, wir haben schon sehr viel vom Instinkt wegzüchten können.
Aber es klingt natürlich viel besser zu sagen: „Das Pferd ist mir unhaltbar durchgegangen“, wenn man schlichtweg zu faul, zu überrascht, oder reiterlich nicht in der Lage war, sich gegen das aufsässige Pferd zur Wehr zu setzen. Da klingt durchgehen ja immer besser. Ist ja natürlich. Und Instinkt, da weiß man doch von vornherein, da kann man nichts machen.

Wie gesagt, ich habe es zweimal erlebt. Einmal bei einer jungen Stute, die gestolpert, in die viel zu langen Dreieckszügel getreten war und dann Panik bekam – Kopf ging nicht mehr hoch: BAM! Da sieht man auch, wie etwas im Pferdekopf „Klick“ macht und dann kann man nur beten und hoffen, dass niemand im Weg steht und das Pferd sich auch sonst nicht selber alle Gräten bricht.
Das zweite mal war es tatsächlich ein Rennpferd. Und glaubt mal, die interessieren sich einen Scheißdreck für Zäune oder Menschen in dem Moment. Das Vieh ist los und gegen ein bereits geschlossenes Eisentor gerast. Das Ding ist aus den Angeln gehoben worden. Der Reiter hatte Schwein und war clever, der sprang ab. Sonst hätte der mit das Tor geknutscht. Bei beiden Pferden ist nichts passiert. Aber alle Umstehenden hatten den Schock ihres Lebens. Das ist wirklich nichts für Wendyreiter.

Denn gut zusprechen, tüddeln, ein schöner Gebissloszaum – all das nützt GAR nichts, wenn die Instinkte wach sind und dem Pferd sagen: Lauf, sonst wirst du gefressen. Okay, ich weiß nicht, welcher dämliche Instinkt einem sagt: Lauf, ist egal, ob da eine Betonmauer ist … aber der liebe Gott hat eh getrunken, als er Pferde erfunden hat.

Wenn Reiter also behaupten, das Pferd sei durchgegangen, dann muss ich meistens schon im Vorfeld schmunzeln. Ehrlich, wenn mir das bei ewig vielen Galoppern und weiß nicht wie vielen anderen Pferden nur zweimal überhaupt untergekommen ist innerhalb von 24 Jahren Reiterei … und nicht einmal bei mir selber, sondern nur in meiner Anwesenheit … dann kann das einfach nicht so häufig passieren.
Aber ja, hören wir mal:

„Der Henry ist gestern durchgegangen, da konnte ich gar nix machen!“, jammert die Liese.
Liese ist eine Blondine mit Jammerstimme und einem fetten Haflinger, der ganz sicher nur zur Futterkammer durchgeht, aber nicht „durchgeht“.
„Was hat der denn gemacht?“
„Ja, ist durchgegangen! Sag ich doch.“
„Und was ist dabei passiert?“
„Ich bin getrabt und dann ist der ganz schnell getrabt und hat gar nicht mehr auf die Hilfen reagiert.“
„Und dann?“
„Dann ist er zwei Runden außen rum getrabt.“
„Und was hast du dem für Hilfen gegeben?“
„Ich habe am Zügel gezogen.“
„Hältst du es für möglich, dass dem Henry so eine Zügelhilfe schlichtweg zu blöd war und er gerne noch alle anderen Hilfen, die man so fürs Abbiegen kennt, gerne dazu gehabt hätte?“
„Nein, der war ja gar nicht mehr ansprechbar.“
Sicher, sicher … im Trab … Absoluter Durchgänger, der Schlingel.

Foto: Noch nie durchgegangen. Ist auch gut so.
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