Im Leben eines jeden Pferdes gibt es sie: Die Ecke des Todes. Sie ist, vollkommen sinnbefreit, das Sammelsurium der weltschlimmsten Dinge. Pferdefresser, Pferdemetzger, Tierärzte, Leute mit Wurmkur, weiße Plastikziegen und Plastiktüten lauern dort im Schlund der Hölle und sind bereit, jedes Mal loszuspringen, wenn ahnungslose Pferde an dieser Ecke vorbeilaufen. Aber nur im Trab. Im Galopp sind wir zu busy, im Schritt zu müde.
Pferde sind sich da auch sehr einig. Eins macht den Anfang und am Ende findet der halbe Stall die Ecke schlimm. So richtig schlimm, wie in: Ich schlag jetzt einen Haken und rase davon – schlimm.
Die Ecke muss keiner Logik folgen. Sie muss nicht besonders dunkel sein, da müssen auch keine Stangen stehen, oder ein Spiegel hängen … nein, es ist meist die unauffälligste Ecke, die Pferden besonders Kopfzerbrechen bereiten.
Mein Pferd zum Beispiel … nein, das hat nicht vor der Ecke am Gebüsch Angst, wo manchmal auch noch beim Nachbarn fremde Pferde lauern. Es ist die Ecke neben dem Tor … da … ist gar nichts. Nicht, wenn es nach meinem Pferd geht. Da ist alles! Der Teufel mit Hackebeil, jemand, der will, dass er sich schneller als Schritt bewegt, ein böser Mann mit Peitsche, oder eine weiße Plastikziege.
Es darf NIEMALS einer Logik folgen. Und die Ecke ist auch nicht jeden Tag böse. Wann immer der Reiter sich denkt: Heute arbeite ich aber mal an dem Eckenproblem, da ist die Ecke dann keins mehr.
Pferde schauen sich Koppen und Weben nicht ab, beim Eckenspringen sind sie sich aber einig. Will das nicht mal einer untersuchen? Denn sie springen ja nicht, automatisch mit, wenn sie woanders in der Halle sind. Nein, die warten natürlich, bis man selbst da entlangtöffelt. Sogar ausgebuffte Schulpferde spielen bei diesem komischen Spiel mit.
Was soll das sein? Hunger Games für Reiter? Battle Royale für Bodenarbeiter? Oder Mau-Mau in der Irrenanstalt?
So eine Eckenphobie läuft ja in etwa so: Pferd A töffelt durch die Halle. Eigentlich ist es ganz lieb und gurkt so seine Runden, während Reiter A da oben drauf rumpennt. Pferd B kommt in die Halle und muss ja erst Mal nicht in die Ecke, weil es Schritt geht.
Trabt Pferd B an und kommt dann zur Ecke, scheut es plötzlich und flüchtet bockend von dannen, während Reiterin B sich krampfhaft festhält.
Pferd C mit Reiterin C kommt dazu, welche spontan einen Abflug bei ihrer ersten Trabrunde gemacht hat. Obwohl sie gar nicht dabei war, als Pferd B die Ecke für „schlimm“ erklärt hat.
Plötzlich weigert sich Pferd A schon vorher vehement an dieser Ecke vorbeizutraben.
Möchte man ihnen die Eckenphobie austreiben, stellt man fest: Wenn das Pferd im Eckenspackmodus ist, ist piaffieren leichter zu lernen. Oder Algebra. Oder Altaztekisch. Ist eigentlich egal, es ist alles einfacher, als die Eckensache auszudiskutieren.
Mutige Reitlehrer stellen sich, weniger mutige Reitlehrer Hütchen, dahin und versuchen das Pferd mit optischer Begrenzung auszutricksen. Ist die Eckenphobie in vollem Gange wird jedes Pferd zum Panzer. Oder so schlängelig wie eine Katze.
Ein Gutes hat das Theater ja: Der Spuk hört so schnell auf, wie er gekommen ist. Irgendein Pferd gibt ein geheimes Zeichen und das Theater ist durch.
Manchmal glaube ich ja nur, dass die gucken wollen, ob wir noch wach sind …
Foto: Scheuklappen helfen nicht gegen Ecken des Todes. Hab’s versucht. Gibt es übrigens auch auf Rennbahnen, obwohl die keine Ecken haben …