Wir Reiter brauchen manchmal Ruhe. Beim Reiten, beim Umgang mit unserem Pferd – kurzum, so wie es jeder mal braucht, brauchen wir es auch. Das ist aber gar nicht so einfach, je nach Stallgröße. Während ich also meist nach einem stressigen Tag himmlische Ruhe genießen kann, ist das in einem größeren Stall sehr schwierig. Denn da sind viele Leute, die entweder das Wort Ruhe nicht verstehen, oder aber selbst Ruhe wollen – dafür jedoch Krach für 2000 Leute machen.
Und man braucht die Ruhe gar nicht, weil man ein schreckhaftes Pferd hat – so eine Ruhe ist hier nicht gemeint. Sondern einfach die Ruhe, seinen Stress ein bisschen auszublenden und anständig mit seinem Pferd zu arbeiten.

So kommt es also, dass man, wenn man in Ruhe arbeiten will, sich Uhrzeiten raussucht, wo andere entweder schlafen, oder arbeiten. Wie einfach ich das manchmal hatte – schließlich war ich früher Schülerin. Aber gerade in der Oberstufe hat man auch oft lange und stressige Tage und da möchte man ja auch einfach mal Ruhe beim reiten. Schon allein, wenn man eher mit grenzwertig schwerem Gerät, aka Todesstern unterwegs ist. Also bleibt nur morgens, oder mittags. Mittags besonders, denn da reiten nur die Hardcore Leute, wenn überhaupt in der Halle. Schließlich ist die Bewässerungsanlage an.

Ich komme also an: Himmlische Ruhe. Außer mir sind genau zwei Leute im Stall und die warten auf den Tierarzt, müssen also ganz sicher nicht in die Halle. Es ist ein schöner Frühlingstag, der Platz aber leider gesperrt. Also fische ich mir meinen Todesstern von der Weide und gehe zum Putzplatz. Immer noch alles so ruhig. Ist das nicht schön? Als ich den Sattel auflege, kommen zwei Kinder um die Ecke. Wo kommen die denn bitte her?
“Wir haben heute frei! Lehrerausflug!”, kreischt die eine. “Die Beate hat gesagt, wir dürfen den Container aufräumen, dann kriegen wir ein Eis!” Hat die denen ja clever verklickert … Was Kinder alles für Eis machen.

Die Container stehen übrigens neben der Halle.
Das erste Gerumpel hallt schon über den Hof (Kinder, die Putzkästen aus Regalen ruppen und dabei gegen die Metallwände schlagen) – ist dem Todesstern noch egal. Lärm stört sie nicht. Ich bin ja heute die Harmoniesüchtige, die einfach nur ihre Ruhe will.
Prompt Hufgetrappel: Zwei Damen beim Kaffeekränzchen. Wollen die etwa auch reiten? Jede schleift ein Pferd hinterher (chronisch unmotiviert) und sie fangen an zu putzen. Aber mit einem Ton:
“HOOOOOHOHOHOOOOO, hast du von der HELGA gehört? PÖHÖHÖÖHÖHÖÖÖÖÖ!”
Und dann kichern sie wieder gemeinsam. Überlege, ob ich mir die Ohren abschneide. Obwohl das bei van Gogh auch nicht geholfen hat.

Ich gehe in die Halle. Wasser ist an, wie erwartet. Versuche scheppernde Kinder und die zwei glucksenden Hennen auszublenden. Warum sind die überhaupt da? Die habe ich noch NIE überhaupt reiten gesehen. Ausgerechnet heute wollen die was machen? Na, vielleicht gehen die ins Gelände.
Leider werden es am Putzplatz plötzlich mehr. Bärbel und Helga kommen auch noch. Woher ich das weiß? “OHHHHHHH HELGA, KÜSSCHEN! BÄÄÄÄÄRBEL!” – Hier beliebige Knutschgeräusche einsetzen.

Ich will doch nur Ruhe. Akustisch nicht mehr möglich, weil die Kinder nun mit Besen im Container hantieren und dabei ständig gegen die Wände scheppern, und Bärbel und Helga von ihrem Trip nach Malle erzählen. Und zwar so, dass alle was davon haben. Auch die Leute auf der zwei Kilometer entfernten Schnellstraße.
Ich beginne zu arbeiten, blende die schnatternden Hühner aus und reite so vor mich hin. Immer mit Blick auf die Bewässerungsanlage, entsprechend muss ich ja schon mal den Zirkel wechseln. Derzeit bin ich hinten auf dem Zirkel, die Anlage ist recht weit vorne. Auf dem hinteren Zirkel herrscht halbwegs Ruhe, ich höre die Schnatterliesen einfach nicht und blende sie aus.

Das geht aber nur so lange gut, bis die mit ihren vier speckefetten Pferden beschließen, gleichzeitig durchs Hallentor zu gehen. Klappt natürlich nicht, es wird gekreischt, gekichert und gegen das Hallentor gebollert, damit man das noch ein Stück weit mehr aufmacht.
Als sie endlich drin sind, kommt spontan die Erkenntnis: “IHHHHHHHH! Das ist ja nass.” Glückwunsch, ihr solltet Physiker werden. Wasser ist nass.
Wohl gemerkt, ich bin immer noch auf dem hinteren Zirkel!

“HELGAAA! MACH DAS MAL WEG HIER!”, kreischt eine von denen und die Helga lässt ihr Pferd einfach stehen und latscht zum Bedienfeld der Bewässerungsanlage. Woher ich das weiß, obwohl ich gar nicht hingucke?
Ich kriege es verzögert mit. Nämlich dann, als die Bewässerungsanlage auf meinen Zirkel fährt und mich einmal einnässt. Ausmachen war wohl nicht … Oder Helga hatte Wurstfinger.

Der Todesstern mag kein Wasser. Die verliert spontan ihre Ohren und ich reite zum oberen Zirkel, wo die Kaffeekränzchenrunde warm steht. Denn keiner bewegt sich. Also doch, Teile von sich selbst schon: Den Mund. Blablablaalbablabala!
“Wieso gehst’n du jetzt?”, fragt mich eine.
– “Ist die Frage ernst gemeint?”
“Hä? Ja.”

Stelle fest, dass mir das Wasser in den Stiefeln steht und reite grußlos raus. Probiere jetzt auch mal dieses rumstehen. Vor dem Tor, in der prallen Sonne. Vielleicht ist es da ja ruhig. Oh, halt, nein. Da haben die Kinder die Putzkästen zum trocknen rausgestellt und spielen jetzt mit zwei anderen Kindern fangen.
Ich geh wieder rein. Vielleicht geh ich auch zu den zweien, die auf den Tierarzt warten. Hab gehört, eine davon wäre taubstumm. Genau meine Gesellschaft heute.

Foto: Kann sehr gut in die Stille reinkreischen. Er wiehert zwar wie ein angeschossener Elch, aber dafür laut.