Früher war alles besser? Aber ja! Zumindest in den Reitstunden. Das behaupte ich einfach knallhart, weil ich weiß, wie Reitstunden in der heutigen Zeit ablaufen. Ich habe ja in den 90ern gelernt, wo es noch keine Handys gab, die den Reitlehrer hätten ablenken können. Oder den Reitschüler. Allein das ist schon ein großer Pluspunkt und ich gebe zu: Als das Handy irgendwann dazukam, hat meine Reitlehrerin da GANZ sicher auch das eine oder andere Mal draufgeschaut. Todsicher. Und nicht mich – die zahlende Kundin – beachtet.
Aber von vorne. Denn so eine Reitstunde beginnt ja vor dem Hof eigentlich schon. Muttern setzt einen ab: “Viel Spaß.” Ist nämlich kalt. “Ich komme dann um 18 Uhr wieder.” Und Tschüßn. Und nein – die ist keine Rabenmutter: So genau wollte ich das haben. Ich war sicherlich auch stolz, wenn meine Mama dabei war, aber die musste mir jetzt nicht den ganzen Tag hinterher rennen. Schon gar nicht mehr mit zehn Jahren, wo ich schon lange bei den Fortgeschrittenen unterwegs war (aber noch keinen Todesstern hatte).
Ab in den Stall, in meiner dunkelblauen Reithose. Eventuell war die später mal Grün. Oder Grau, wenn man besonders cool war. An Lederstiefel war nicht zu denken. Hatte kein Kind, also konnte mich auch keiner hänseln. Schnell zur Reitlehrerin und fragen, wen man reitet: “Den Dancer.” Uh! Super, mein Lieblingspferd. Und weg ist das Kind. Ganz ohne Wegweiser, Handy, Nanny, dreihundert besorgte Pädagogen und noch drei Heilpraktiker obendrauf, die gucken, ob das Pferd denn auch glutenfrei ernährt wird, weil das Blag bestimmt eine Unverträglichkeit hat und deswegen damit nicht in Kontakt kommen darf.
So stapft die kleine Nika also zur Weide, sucht sich aus diesen 20 Pferden das Richtige aus (kann die anderen aber problemlos mit Namen benennen) und wackelt mit dem Dancer davon. Will der Dancer nicht mit, bin ich aber nicht aufgeschmissen, denn das Stallkollektiv lebt auch den Kindern vor, wie sie manche Dinge regeln müssen. Nicht das Pferd dämlich anglotzen und blöde säuseln ist schon mal eins, das man lernt.
Also ab mit dem Pferd zum Putzplatz, wo auch langsam die Mitreiter eintrudeln. Manche älter, manche Gleichalt. Trotzdem unterhält sich keiner mit mir auf einem Niveau, das Kleinkindern angemessen ist – schließlich sind wir in etwa alle auf demselben Level und können uns auch über Pferde austauschen.
Satteln kann ich den Dancer auch alleine, ich hole mir einen Hocker. Da ist sowieso keiner, der mir das Händchen hält, die anderen Satteln ja auch.
Ab in die Halle, wo die Reitlehrerin wartet und einen kontrollierenden Blick auf die Pferde wirft – ne, nix falsch dran, könnt aufsitzen. Wir reiten selbstständig unsere Handwechsel und wärmen die Pferde auf – die, die es nicht tun, bekommen ständig Anweisungen zum Handwechsel und Zirkel reiten – geradeaus wird das Pferd zwar auch warm, aber biegt sich eben nicht sonderlich. Das hat man uns erklärt und nur die Drückeberger tun es nicht. Man muss es uns auch nicht aufschreiben, ein Buch dazu kaufen, drei Lehrfilme zeigen, das funktioniert, weil die Reitlehrerin es gesagt hat. Und die sagt das nicht zum Spaß.
Mein Dancer ist ein bisschen zu schnarchig unterwegs, also bekomme ich eine Gerte. Die ist zum in der Hand halten da. Nicht zum benutzen. Das weiß ich, weil das jeder weiß. Für die verschiedenen Schulpferde gibt es ungeschriebene Gesetze, die alle Reitschüler kennen: “Bei der Stute niemals das Bein zu weit zurücklegen beim angaloppieren, sonst buckelt die.”, “Beim Dancer die Gerte mitnehmen, wenn der so rumschlufft, aber nie benutzen.”, Keiner macht Bodenarbeit, damit der Dancer fleißiger wird. Oder holt einen Schamanen. Wenn X – dann Y. Einfaches Prinzip.
Einzelgalopp – Dancer springt falsch an. Es wird korrigiert. Ich fange nicht an zu heulen, als meine Reitlehrerin mir offenbart, dass ich viel zu sehr nach links sitze und er dann wohl kaum in den Rechtsgalopp springt. Verhalten wird geändert, Pferd springt richtig an. Keine besorgte Mutti, die fragt, ob man das jetzt so schonungslos sagen könnte, oder gar erklärt, warum ich jetzt links sitze.
Die Stunde geht bis 16:00 Uhr. Trockenreiten müssen wir außerhalb der Reitstunde. Keiner steigt ab, lässt das Pferd stehen und rennt zum Auto, das Mami vor der Tür geparkt hat.
Entsprechend sind am Ende alle erst um halb fünf wieder am Putzplatz. Wo abgesattelt wird und auch die verschwitzten Stellen nochmal gesäubert werden. Weil man das so macht. Hat mal irgendwer festgelegt. Darüber muss auch keiner diskutieren. Es machen einfach alle.
Foto: Nimm mich mit zur Weide, du Arsch! Keine Fotos – Weide! Mach hinne!
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