Reiter sind nicht glücklich, wenn sie keine Fehler finden. Das wissen wir ja schon, die lieben es Fehler bei anderen zu finden. Noch schlimmer wird es nur, wenn sie bei sich selbst andauernd Fehler gucken. Oder vielmehr bei ihrem Pferd. Das ist ganz ganz schlimm.
Ich behaupte mal: 99% aller Reiter können sich auch ihr Pferd lahmgucken. Das Pferd hat ein bisschen Probleme mit der Hinterhand? Nach ungefähr einer halben Stunde ist es laut Reiter lahm. Irgendwo halt. Meins auch. Wenn man sich nur auf einen Teil des Bewegungsablauf fokussiert, dann gibt das Salat im Hirn.

Gegentest: Puh … können uns den Schweiß abwischen. 99% aller Pferde auf Youtube sind nach einer halben Stunde auch lahm, wenn man nur auf die Hinterhand guckt. Da können wir ja aufatmen.
Aber halt … was ist das hier? Oh Gott, die Muskeln sind ja total atrophiert … nein, verdammt, der Sattler war doch 2749 Mal da … wie kann das sein? Oh … mein Fehler. Jetzt steht das Pferd auch wieder gerade.
Und was ist das hier am Maul? Oh Gott, ein Krebsgeschwür bestimmt … was ist das? Es ist so hart! Hm … hat das Nachbarpferd aber auch. Vielleicht ist es doch gar nicht so schlimm, sondern die Standardausfertigung.
Ihr habt also jetzt eine Idee dessen, was der Reiter dauernd für Schreckmomente am Pferd erlebt. Und wir Reiter denken ja nicht in kleinen Dimensionen, wir denken: Beinbruch, Tierklinik, Exitus. Oder: Husten, Bronchitis, Lungenentzündung, dämpfig ein Leben lang, Exitus mit 10 statt Gnadenbrot.

Es ist also anstrengend mit Hirn. Leute ohne Hirn mögen das komplett ausblenden können, aber ich behaupte, der Rest der hat immer mal wieder spontane Horrorszenarien, eingebildete Lahmheiten oder Wesensänderungen, die man mindestens auf einen Hirntumor schiebt.

Ich habe übrigens über ein Jahr (und einige Untersuchungen) gebraucht, um zu schnallen: Mein Pferd ist nicht lahm, der ist nur doof, der macht manchmal einen Zwischenschritt, weil er, wenn er zu sehr schlufft, den rechten Hinterhuf eindreht und dabei am Fesselgelenk des linken Hinterbeins hängenbleibt. Da muss man dann schon einen kleinen Schritt machen, um den Takt zu halten. Macht er sehr souverän … Laut mir war er sehr krank. Laut Tierarzt nur ein fauler Schluff.

Dann gibt es da noch die andere Seite beim Fehlergucken. Man macht ein Foto von seinem Pferd … Oh Gott! Was ist das? Ein Reh? Gut bemuskelt sieht aber anders aus. Was ist das hier? Was ist das für ein Hals? Wo sind denn die Brustmuskeln: Hilfe, mein Pferd ist eine Katastrophe! Meine Reiterei ist mies, ich bin ein Tierquäler … so was halt. Und wieso ist das Pferd so dürr? So sah der gestern noch nicht aus.
Fotos sind manches Mal sehr gruselig für Reiter. Da sieht das eigene Tier nämlich plötzlich aus, als wäre es hundert Jahre alt oder mindestens ein Fall für den Abdecker – nicht ein gut bemuskeltes Sportpferd.
Es hat auch plötzlich einen Senkrücken, ein lahmes Bein und einen Unterhals, der Seinesgleichen sucht.

Schnell werden panisch andere Fotos gesucht … aber die sind nicht von heute. Hat sich das Pferd unbemerkt so schlimm verschlechtert? Was ist nur schief gelaufen? Gymnastiziert man nicht richtig? Panisch werden Doppellonge und Stangen hervorgekramt, damit das Pferd erstmal wieder aufgebaut werden kann. Doch Moment … jetzt ist es plötzlich fett und unbemuskelt am Rücken.
Oder überbaut? Was ist denn nur mit diesem Tier los? Jeden Tag sieht es schlimmer aus.
Kommt man dann an einem Tag völlig optimistisch in den Stall, denkt man sich plötzlich: Mensch, was hab ich für ein wohltrainiertes Pferd. Was hab ich mir nur in den letzten Tagen für einen Quatsch gedacht?
Ich verstehe die Leute manchmal völlig, die besorgt in Pferdegruppen fragen, ob das Pferd normal ist.
Doof nur, wenn sie dann auf enthusiastische Fehlersucher treffen, die den Fehler am liebsten bei anderen suchen – während sie beim eigenen Pferd völlig betriebsblind sind.

Foto: Kann das SEHR gut. Ein wandelnder Sorgenmops.