Manchmal, wenn wir Reiter schon sehr lange reiten, dann kommen diese Tage. Die „Vietnam“-Flashbacks, die uns irgendwie einholen. Denn wenn wir schon etwas länger reiten, dann wissen wir auch, dass wir stets unsere Pferde, Reitbeteiligungen und Pflegepferde überleben. Die Flashbacks kommen aus dem Nichts. Einfach so. Durch eine Handlung, einen Moment, einen Gegenstand und sie sind dann da. Sie lassen den Reiter innehalten und zurückgehen zu dem Zeitpunkt, an dem er dieses spezielle Pferd hatte.
Ich hatte gestern so einen Flashback. Angefangen hat der auf der Landstraße vor dem Stall. Im Autoradio düdelte Lady in Black von Uriah Heep.
Zu dem Zeitpunkt hatte ich den Flashback noch nicht kommen sehen. Erst im Stall, als ich die Tonne umwarf und ein Halfter hervorkullerte. Das Halfter des Todessterns. Mozart trägt es nicht. Es würde ihm zwar passen, wenn man es sehr klein stellt, aber er darf es nicht tragen. Es ist nicht seins. Es gehört zu ihr. Ich weiß gar nicht genau, wo ich das herhab. Es ist rot. Das kann man auf eine Rappstute schon mal aufziehen. Ist kein Eski oder so. Ich glaube, es war ein Geburtstagsgeschenk. Für mich fürs Pferd. Ein roter Strick gehört auch dazu. Der einzige, der in meinem Fundus noch funktioniert.
Da sitze ich also in der Sattelkammer, das Halfter in der Hand, Uriah Heep im Ohr. Lady in Black ist schon das passende Lied für sie.
Es ist komisch, wie präsent einem solche Dinge mit einem Mal werden können. Ich kann mich an sehr konkrete Dinge erinnern. Den Moment vor dem Sprung, wenn die Ohren ENDLICH mal für eine Millisekunde vorne sind. Den Unterschied zwischen – Ohren normal hinten und – Ohren auf Durchzug – Ohren auf: Primärwaffe feuern. Ich kenne die Nuancen alle und ich könnte sie anhand von Bildern aufmalen. Ich! Ich weiß nicht mal, was es gestern zu Essen gab.
Aber wenn ich die Augen zumache, sehe ich den Paddeltrab und den Hupfdohlengalopp vom Todesstern. Ich weiß auch, wie sich das bisschen Mähne anfühlt, das sie hatte. Oder wie dicht das Fell im Winter wurde (Samson aus der Sesamstraße war ein Scheiß gegen sie. Gibt es eigentlich Perserpferde?). Ich kann die Zeichnung ihres weißen Hinterhufs nachmalen. Wie gesagt: Ich weiß immer noch nicht, was es gestern zu Essen gab.
Pferde brennen sich ein. Die Besonderen eben besonders gut. Das Pferde irgendwann sterben – im Idealfall, wenn sie alt und betagt sind und ein gutes Leben hatten – ist uns Reitern natürlich klar. Und so ist das tatsächlich auch mit dem Todesstern gewesen. Irgendwann wurde sie alt, die Arthrose wurde zu stark, sie wurde eingeschläfert. Wie tausende von alten Pferden jeden Tag.
Man selbst geht trotzdem jeden Tag mit diesen Pferden wieder raus. Manchmal sagen sie: Guten Tag, ich bin noch da. Dann bleibt man vor einem schlichten, roten Halfter stehen, grinst in sich hinein und denkt: „War ja schon eine geile Zeit.“ Ja, wir waren vielleicht bisschen anders als die anderen Kinder (wir waren ungefähr gleichalt als wir uns kennengelernt haben – Todesstern und ich). Die konnten alle Turniere gehen, wir konnten, wenn wir Glück hatten, galoppieren. Manchmal. Gelände habe ich auch nicht so viel gesehen in der Zeit. Hatten ja immer alle Angst um einen. Dabei bin ich nur zweimal in all den Jahren runtergesegelt. Und das immer nur beim Springen. Weiß gar nicht, warum die alle so ein Theater gemacht haben.
Ich lege das Halfter zurück. Ich bin auch nicht traurig, über die Tatsache, dass kein Todesstern mehr da ist. Das ist der natürliche Lauf zwischen Reiter und Pferd. Pferd geht, Reiter bleibt. So große Tiere und so wenig Lebenszeit.
Was mich wirklich traurig stimmt, ist die Tatsache, dass ich eines, hoffentlich weit entfernten Tages dort stehe, und es Mozarts Halfter sein wird, dass ich dann halte und mich zurückerinnere.
Ich fahre also nach Hause. Uriah Heep singen: And if one day she comes to you
Drink deeply from her words so wise, take courage from her as your prize and say hello for me!
Hello Todesstern. Manchmal ist es sehr gut, dass noch so viel von dir da ist.
Foto: Das Blödeste an der Zeit ist ja die Tatsache, dass man immer einen Fotoapparat mit sich rumschleppen musste, wenn man Bilder haben wollte. Handy? Haha! Ja, damit konnte man jemanden erschlagen, aber sicher nichts fotografieren.