Ich sage euch jetzt mal was. Wenn man sich mit etwas sehr gut auskennt, weiß man schnell, wenn die Medien ziemlichen Blödsinn berichten. Ich habe mir einige Artikel zum Grand National (vor allem von deutschen Medien) durchgelesen und habe gemerkt, wie schlecht die Berichterstattung abläuft. Drei Tote Pferde im Grand National ist die Headline, Tierschützer stören das Grand National der Untertitel. Corach Rambler, der Sieger, kaum erwähnt, eine erfolgreiche Trainerin, Lucinda Russell, deren Name kaum genannt wird, Jockey? Hatte der einen? Was führte überhaupt zu dem Unfall, den es im Grand National gab? Egal, drei tote Pferde – böses Rennen. Nur stimmt das halt so nicht. Also erzähle ich euch mal, was in Aintree vorgefallen ist. Beim Grand National. 

Zunächst einmal ist das Grand National ein Meeting (es heißt Grand National Meeting) und das ist nicht nur eine Bahn. In Aintree gibt es unterschiedliche und nur eine Bahn führt über die Grand National Sprünge, die ihr aus dem Fernsehen kennt. An einem Tag sind meist so acht oder neun Rennen mit großen Feldern. Drei Tage geht das Meeting. Innerhalb des Samstagsrenntag (aber nicht über die National Sprünge) gab es einen tödlichen Unfall (das war der von Dark Raven). Dabei handelte es sich um ganz normale Hurdles, nicht die sogenannten “Monstersprünge” von Aintree. Ein Hurdle ist nicht hoch und gibt nach. Dark Raven wurde nicht angerempelt, war nicht überfordert (sondern mehrfacher Sieger über die Hurdles) er stürzte schlichtweg unglücklich. So wie es jedem Pferd passieren kann. 

Davy Russell mit Irish Point nach dem Mersey Novices Hurdle.

Der erste Unfall (Envoye Special) fand in der Foxhunter’s Chase am Donnerstag statt (geht über die Nationalsprünge, aber nicht über dieselbe Distanz). Und er ereignete sich, als das Pferd reiterlos war. Pferd nahm den Sprung etwas hart, Jockey fiel. In Aintree ist es so, dass es überall Auslaufzonen gibt und sogar noch Outrider, die sich der losen Pferde annehmen. Aber man kann natürlich ein Pferd, das gerade nicht will, nicht einfach einsammeln. Es gibt hunderte von Freiwilligen, die dafür sorgen, dass die Pferde nicht weiterlaufen, bleibt das Pferd aber im Pulk, hat man kaum eine andere Option. Envoye Special verletzte sich als loses Pferd, auf das niemand mehr Einfluss hatte und musste schließlich aufgrund der Verletzung aufgegeben werden. Für jeden Reiter ein Horror. Ein Pferd, von dem man unfreiwillig im Gelände abgestiegen ist, das jetzt lose dort herumläuft, ist denselben Gefahren ausgesetzt (und den Straßen, auf die es in Aintree zum Glück nicht kommt). 

Die unterschiedlichen Bahnen von Aintree. Nicht jede führt über die Grand National Hindernisse.

Und was passierte jetzt beim Grand National? Viele Dinge, die überhaupt nicht gut waren. Zunächst einmal hatten die Aktivisten bereits mehrfach angekündigt, das Grand National zu stören. So viel Polizei und Security hatte Aintree noch nie gesehen. Wir beobachteten das auch, als wir die Strecke abgingen. Und an der Stelle, wo 30 Jahre zuvor schon Tierschützer ihren Weg auf den Kurs fanden, dachten wir – da auf keinen Fall, da ist ja echt alles zu. Falsch gedacht. Und offenbar war die Polizei so naiv wie wir. Denn wir dachten uns: “Niemand kauft sich ein Ticket, um das Grand National zu stören, die sind doch dagegen, da wollen sie doch nicht noch Geld geben” – auch weil National Tickets verdammt teuer sind. Falsch gedacht – in beiden Fällen. Es gab Störungen, von Leuten, die bereits auf der Bahn waren (getarnt und gut gekleidet, als Zuschauer) und von außerhalb, die mit Leitern in den Innenraum kamen. Aufgehalten wurden sie größtenteils von Besuchern und Anwohnern. Die Polizei war anschließend ein großes Thema und die Engländer sind empört über deren lasche Leistung (im Hinblick auf den ESC ist die Generalprobe wohl gescheitert).

Die Tierschützer stürmen die Bahn (Foto stark gezoomt, daher so unscharf).

Die 39 Starter des Grand Nationals befanden sich am Anfang im Führring. Normalerweise gibt es eine feierliche Parade, eine Hymne, etc., aber plötzlich wurde es ziemlich ruhig und man sah plötzlich massig Security laufen. Das konnten wir von unserer Tribüne ziemlich gut sehen, denn die Tierschützer hatten sich ans zweite Hindernis gekettet (ihr erinnert euch, ein recht popeliges Hindernis, ich stand 2019 zum Vergleich auf den Fotos daneben). Mehrere andere versuchten sich hinten an den Canal Turn zu ketten, wurden aber rechtzeitig geschnappt. So weit so gut, möchte man meinen. In Aintree traf die Rennleitung jedoch, aus welchen Gründen auch immer, die Entscheidung, dass die Pferde noch mal zurück sollten. Wer mit Rennpferden zu tun hat (aber auch mit Pferden generell), der weiß, dass Pferde so etwas, abseits von ihrer Routine nicht immer gut aufnehmen.

Für ein Rennpferd ist klar: Ich werde gesattelt, ich gehe in den Führring, ich gehe auf die Bahn. Die Zeiten dafür sind in etwa immer gleich und die weiß auch ein Pferd. Ich gehe in den Führring und dann … ich gehe zurück ins Boxendorf? Das kann nervösere Kandidaten verunsichern. Ich kann nur mutmaßen, warum man das gemacht hat (mein Gedanke ist, dass es vielleicht auch Drohungen gab, dort zu stören, oder man das befürchtete, denn auch die Jockeys mussten nach drinnen gehen, statt aufzusitzen). Als dann die Aktivisten entfernt wurden, wollte man schnell starten. Das übliche Prozedere (Parade, Hymne, etc.) wurde ausgelassen, sofort alle Pferde auf die Bahn und dann auch Start (nicht ohne Fehlstart). Die Jockeys waren sicherlich auch nervös, denn sie wussten ja nicht, ob nicht irgendwo noch Aktivisten lauerten, die bereit waren, irgendwo hinter einem Hindernis hervorzuspringen. Und jetzt springen wir auch zu Hill Sixteen, der am ersten Hindernis umkam. 

Der Führring von Aintree im ersten Rennen.

Das erste Hindernis ist ein ganz normales Hindernis, das keinerlei Finesse erfordert. Es ist ein Tannengesteck, durch das die Pferde durchwischen, er hat eine Höhe von 1,37cm, das entspricht ungefähr einer M**. Nur, dass es eben kein festes Hindernis ist und die Höhe nicht effektiv genommen werden muss. Hill Sixteen passiert es als so ziemlich Letzter und ich habe den Gegenschuss zur Frontkamera gesehen, nicht das, was im Stream zu sehen ist. Hill Sixteens Trainer und Besitzer haben beide mitgeteilt, dass dieses Pferd noch nie überhaupt nur gefallen ist. Es kennt, im Gegenteil, den Grand National Kurs bestens. War aber vollkommen durch den Wind, weil alles nicht mehr so ablief, wie er es kannte. “Hyper”, war die Beschreibung. Beide machen die Verzögerung durch die Tierschützer dafür verantwortlich. Das ist ein bisschen weit gedacht, denn man hätte, wenn das Pferd zu nervös ist, den Start auch einfach lassen können, aber eine Mitschuld ist sicherlich korrekt. Sie lieben angeblich die Tiere, verstehen aber nicht, dass sie für die alles schlimmer machen, weil sie das Wesen des Pferdes nicht verstehen. Und dieses Wesen mag Routine. 

Fence Nr. 1, wo Hill Sixteen verunglückte. Der weiße Streifen gibt nach und geht mir in etwa bis unter die Hüfte.

Im Gegenschuss sieht man, dass Hill Sixteen nicht einmal versucht zu landen. Er fällt einfach wie ein Stein. Ich habe keine offizielle Stellungnahme finden können, das ist einem natürlich auch niemand schuldig, aber für mich sieht das aus wie Herzinfarkt, Aortenabriss, Schlaganfall etc, denn das Pferd rührt sich einfach nicht mehr. Und das wäre sicherlich ein Punkt, wo man darüber reden könnte, ob die Aufregung, die durch die Tierschützer verursacht wurde, auch zum Teil daran schuld ist oder, ob es so oder so passiert wäre (gegen diese Sachen kann man ja effektiv nichts tun). Alle Pferde werden vorher gecheckt, alle Teilnehmer hatten den Vet-Check erfolgreich absolviert. Es gab also keinerlei Vorzeichen dafür. Das Pferd galoppiert gerade erst einmal ein paar Meter. Der war nicht ausgepowert, er wurde nicht angerempelt. Es ist das erste Hindernis. Er ist vierfacher Sieger, war Zweiter in der Becher Chase – in Aintree. Über dieselben Hindernisse. Es sieht aus, als wenn ihm – in diesem verlängerten Galoppsprung – denn Hill Sixteen weiß, wie die Hindernisse funktionieren, einfach das Licht ausgeht. 

Mit keinem Wort werden diese Dinge in Zeitungsartikeln erwähnt. Die Pferdenamen sind teilweise nicht einmal richtig geschrieben. Seriöse Medien machen ihren Artikel mit dem Foto eines gestürzten Pferdes auf (das nicht im Grand National gefallen ist UND komplett unverletzt ist). Sie wollen euch in dem Moment keine Berichterstattung bieten, sondern eine Meinung. Die von den Dingen untermalt werden, die man als Tierfreund schlimm finden könnte (aber ein glimpflich ausgegangener Sturz ist ja nicht schlimm eigentlich …). Es wird weggelassen, was nicht ins Narrativ passt und sich auch nicht weiter damit befasst, denn dort sitzen weder Menschen, die Pferde verstehen, noch offenbar Menschen, die bereit sind, mal einen englischen Artikel zu lesen (aber selbst die sind teilweise miserabel), um an mehr Informationen zu kommen. 

West Balboa nach dem Sieg im Village Handicap Hurdle.

Jedes tote Pferd ist eines zu viel. Das ist nicht der Sinn des Sports. Jedes Jahr werden Unfälle genauestens analysiert, wenn man häufiger nach Aintree kommt, sieht man das (euch wird sicher aufgefallen sein, dass die Hindernisse unten nicht mehr Orange sondern weiß sind), wenn es neue Erkenntnisse zum Thema “Was sehen Pferde am besten”, gibt, etc. Innerhalb der letzten 20 Jahre konnte die Fatality Rate in Hindernisrennen jedoch auf 0,2% (offizielle Quelle BHA), gesenkt werden und das ist diesen Verbesserungen zu verdanken, die der Sport von sich aus macht. Das Grand National wird sich auch im nächsten Jahr verändern, sich selbst hinterfragen müssen und schauen, was vermeidbar war und die richtigen Entscheidungen treffen. Ich verstehe völlig, wenn ihr sagt: Es ist trotzdem nicht mein Sport. Aber ich möchte, dass ihr versteht, was da überhaupt passiert ist. Und mitnichten lag das an den Sprüngen oder der Teilnehmerzahl. Sondern an dem Restrisiko, das bei jedem Pferdesport bleibt. Hindernisrennen sind eine herausfordernde Sportart, bei der auch eine Menge passieren kann und das wird auch immer so bleiben. 

Aber ich finde, es ist nur fair, wenn man auch erzählt, was dort insgesamt geschah – und nicht nur ein Dreizeiler oder ein Videoausschnitt, der nicht beleuchten will, sondern eine Meinung bedienen will. Ich habe eine andere Meinung. Das könnt ihr natürlich auch tendenziös finden, doch mir ist es ein Anliegen, dass ihr die Dinge auch erfahrt, die dort vorgefallen sind. Und die lassen sich nicht auf einen Dreizeiler herunterbrechen, der ein Bild verwendet, das mit diesen Dingen nichts zu tun hat. Oder eine Videomontage, in der die Unfälle einfach hintereinander geschnitten werden, um zu suggerieren, dass das alles das Grand National war. Das stimmt halt einfach nicht.