Könnt ihr euch an diese ganz beschissenen Tage im Leben erinnern? Meist gehen sie mit einem schrecklichen Unfall einher. Oder einem spontanen Tod. Einem Moment, bei dem man ganz einfach daneben steht und sich denkt: Dreht mal bitte einer die Zeit zurück? Das ist nicht wirklich passiert. Das kann gar nicht sein.
Wir Rennreiter sagen dazu: der Turfteufel schlägt zu. Und er ist definitiv kein Gentleman. Mehr so Hurensohn … oder irgendwie so was in der Art. Was, was man gut fluchen kann, in einer solchen Situation, wenn die Wut durchkommt.
Ihr kennt diesen einen Tag, der sich ins Gedächtnis einbrennt? Gut. Dann könnt ihr euch meinen Tag mal anhören. Diesen einen, den ich definitiv NIEMALS loswerde. Wenn ihr möchtet, dürft ihr mir euren auch erzählen.
Achtung: Sollte sich IRGENDWER erdreisten, in diesem Post so etwas zu schreiben wie: Dem Jockey ist es nur recht geschehen, oder irgendeine PeTA Plattitüde von sich geben wollen, dem zeige ich dieses Mal die Tür. Das hier ist privat!

Ganz gewöhnlicher Tag bei uns im Stall. Ich sitze auf dem Rennhengst in Spaniergestalt und unser Jockey auf der Hexe. Die Hexe ist so unbeliebt, dass ich sie abgegeben habe. Und mein anderer Kollege auch. Und der davor auch. Die Hexe findet nämlich Rückwärtssalto super. Da wir alle keine großen Bodenturner sind, verzichten wir dankend.
Ein anderer Kollege sitzt auf meiner Diva. Verdrehte Welt, normalerweise haben wir feste Pferde.
Die beiden sollen vor mir ihre Arbeit gehen, der lustige Hengst mit der barocken Frisur nur den Anschluss nicht verlieren. Kann ich. Glaub ich …

Wir springen ab, erst die beiden, ich hinterher, Trainer verschwindet aus dem Blickfeld, es geht auf Start-Ziel zu. Genau da, wo das Ziel steht, sausen die beiden Stuten jetzt vorbei. Was ich in dem Moment sehe, kann ich nicht klar definieren, ich bekomme nur Panik, als die Diva plötzlich richtig übel gegen die Rails scheppert, ihren Reiter verliert und losrast. Die Hexe aber geht in die Eisen und der Jockey schießt über den Hals weg. Ich umrunde beide, sehe, dass der zweite Reiter die Hexe wieder hat.
Okay … Trainer Bescheid geben, loses Pferd. Allerdings steht der Jockey auch nicht auf. Shit. Ich gebe Gas, drehe mich hinter der Unfallstelle noch mal um und die Hexe schaut mich an. Wirklich, ich schwöre, dass sie mich angesehen hat. Und der Blick war definitiv eindeutig: „Hilfe.“

Ich lasse den Hengst marschieren, springe ohne korrekt durchzuparieren vor ihm ab und rufe nach dem Trainer. Unzusammenhängendes: „Irgendwas passiert … Stute verletzt, Jockey verletzt.“
Ich parke den Möchtegern Spanier beim Bodenpersonal und laufe los. Weiter weg, denn wir stehen im Bogen, Stute am Ziel. Und sie steht da einfach immer noch, während auf der anderen Geraden sich der Reiter mit der Diva auf den Heimweg macht. Spätestens jetzt weiß ich auch – das geht gar nicht mehr klar, da ist was Gravierendes schiefgelaufen, wieso rennt die nicht los.
Ich komme an, da ist auch der Jockey wieder auf den Beinen, aber sehr benommen. Frage ihn ob ihm was fehlt, aber es scheint wieder zu gehen.

Die Stute ist am Ende. Offener Bruch des Vorderbeins. Es labbelt an ihr herab. So völlig ohne Grund. Ich sehe jedenfalls kein Loch im Sand. Irgendetwas macht das Gehirn des Reiters in diesen Momenten, denn man ist dann sehr ruhig.
Wir befinden uns im Rennstall – keiner hat ein Handy am Pferd dabei. Ist verboten. Also bitte ich den Jockey die Stute festzuhalten, schicke das Lot eines anderen Trainers zurück, die mich fragen, ob sie da vorbeigehen dürfen. Bloß nicht, die ist im Schock. Und sobald das aufhört, wird die hinterherwollen.

Mir kommt die Futtermeisterin entgegen. Moment … ist das nicht ihr Lieblingspferd? Ich brülle ihr entgegen: „Hau ab! Das willst du nicht sehen.“ Aber sie hört nicht.
Berichte dem Trainer was passiert ist. Er zückt das Handy und holt den Tierarzt. Der uns eiskalt 1 1/2 Stunden mit einem Pferd mit offenem Bruch stehenlässt. Grund genug, den eigentlich gleich zu erwürgen, sobald er das Gelände betritt. Mehr Notfall geht doch kaum.

Der Traktor nimmt den Jockey mit, der den Krankenwagen permanent verneint. Wir stehen also da, schauen in den Bogen und rauchen. Sollen nicht dazukommen. Wo nun der Diva Reiter und die Futtermeisterin versuchen, diesem Pferd zu verklickern, dass bald alles gut wird. Es ist der beschissenste Moment ever. Trainer fordert uns nicht dazu auf, weiterzuarbeiten, oder irgendetwas zu tun. Er geht rüber und „hilft“. Oder ist mit hilflos. Wahrscheinlich das Letztere.
Uns allen tut es mit einem Mal furchtbar leid, was wir alles so über die Hexe gesagt haben. Schließlich wollte die keiner reiten.

Als der Tierarzt irgendwann mit dem Halfter wiederkommt und der Traktor abermals auf die Bahn fährt, um den toten Körper abzuholen, ist unser Arbeitstag noch nicht vorbei. Aber keiner von uns sagt auch nur ein Wort. Was soll man in diesem Moment auch sagen?
Irgendwann doch leise Gespräche:
„Der Tierarzt war letzte Woche da, ne? Wegen erstem Rennen?“
„Ja. Alles super. Sollte starten, hab die Röntgenbilder gesehen. Alles top.“
„War die Bahn schlecht?“
„Nein.“
„Steine?“
„Nein.“
„Du warst doch dahinter. Hast du nix gesehen?“
„Nein. Ein Ruck durchs Pferd, dann stand die.“

Wieder Schweigen. Und die Erkenntnis. Manchmal trifft es dich völlig grundlos. Ich sagte ja, dass der Turfteufel ein Arschloch ist. Dafür sieht man die ganzen nächsten Tage die Arbeitsreiter besonders ihre Lieblinge knuddeln. Manchmal ist so ein Leben total sinnlos und grundlos ganz schnell vorbei.

Foto: Zum Glück von all solchen Dingen bisher verschont worden. Kann man auch mal dankbar für sein.

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