Wenn es einen Gott gibt, der für das Wetter verantwortlich ist, dann küsst er an einem gewissen Samstag gerne mal eine bestimmte Stelle auf der Wetterkarte. Dieses Fleckchen Erde heißt Aintree und nach Platzregen am Freitag sprach der Wettergott: Und es werde Sonne. Schon am frühen Morgen ist der Himmel über Liverpool blau und als wir in die Bahn nach Aintree steigen, strahlt die Sonne bereits auf die 70.000 Besucher herunter, die alle nur ein Ziel haben: Aintree – Home of the Grand National. Das rote Backsteingebäude kommt in Sicht: “Welcome to Aintree. Have a great day”, prangt über unseren Köpfen und wir reihen uns in den Strom der Bahnbesucher ein. Im Inneren der Bahn präsentiert sie sich wie gewohnt majestätisch. Wenn man nach Aintree kommt, dann muss man einen kurzen Moment stehenbleiben – jedenfalls wenn man sonst deutsche Bahnen gewohnt ist. Das hat damit nichts zu tun. Überhaupt nichts.
Der Weg führt aufs Geläuf. Wenn man verstehen will, was für ein Rennen das ist, wie es aussieht, die Dimensionen verstehen möchte, dann geht man den Kurs. Man darf sie anfassen, die Hindernisse, kann beide Seiten betrachten und versteht dann viel besser, wie die Strecke überhaupt gebaut ist. Dieses Mal durfte man schon im Vorfeld nicht mehr so viel wie früher, die Drohung der Tierschützer lag im Raum und sehr viel Security bewachte die legendären Hindernisse, die Namen wie: Becher’s Brook, Valentine’s oder Canal Turn tragen. Während wir umhergehen und sie anschauen, ein bisschen von der Rennluft atmen, kommen die alten National Cracks auf die Bühne. Tiger Roll, Doppelsieger und Held. Neptune Collonges, den ich abgöttisch liebe – die alten Recken präsentieren sich mit ihren neuen Besitzern dem Publikum.
Als das erste Rennen losgeht, ist es laut auf der Bahn, die Zuschauer lieben jede Sekunde dieses Tages und sie feiern ihre Sieger frenetisch. Vor allem Davy Russel, den aus der Rente zurückgekehrten Helden der Hindernisse, der anschließend seinen erneuten Rentenversuch bekanntgeben wird. Und Sire du Berlais, den alten Kämpfer, von dem man dachte, dass der seine besten Tage schon gesehen hat. Nein – der blüht gerade auf. Erst Cheltenham, jetzt Aintree. Und so langsam nähern wir uns schon dem Rennen, für das alle da sind. Alle Informationen zur Erstürmung der Bahn und den daraus resultierenden Problemen und dem Unfall findet ihr im gestrigen Artikel, auf diese wird hier nicht mehr näher eingegangen. Denn bei all dem Chaos kommt einer zu kurz: Corach Rambler. Das Pferd, das von weiiiit hinten kommt, um sie am Ende alle niederzuringen. Corach Rambler ist der Favorit nach seinem Cheltenham-Sieg und er tritt in große Fußstapfen.
2017 gewann Lucinda Russel, Corach Ramblers Trainerin, das Grand National mit einem Pferd. One For Arthur. One For Arthur war erst das zweite schottische Pferd überhaupt, das dieses Rennen seit seinem Bestehen gewann und damit schon für seine Fans (in Schottland) ein absoluter Held. Nach seiner erfolgreichen Karriere ging er in den Busch und genoss sein Leben als etwas ambitionierteres Freizeitpferd, bis er am 24. März ganz plötzlich einer Kolik erlag. Ein schwerer Schlag für seine Trainerin, die ihren “Arthur” sehr liebte. Aber wenn es einen Wettergott gibt, dann gibt es auch die Möglichkeit, dass One For Arthur seinem Nachfolger ein paar Flügel in Aintree verlieh. Corach Rambler springt am letzten Hindernis in Front, Derek Fox, der seinerzeit schon One For Arthur ritt, lässt ihn sofort marschieren und weg ist er. Da kommt niemand mehr hin. Corach Rambler ist der Sieger des Grand Nationals 2023. Und falls Pferde im Himmel lächeln können, dann lächelt One For Arthur gerade auf ihn hinab.