Es ist manchmal sehr aufschlussreich in eine Reithalle schauen zu können. Man lernt ja nicht nur etwas über die dort geltenden Regeln (und die Schlingel in den Ställen wechseln die ja auch immer) sondern auch, was für Charaktere sich dort tummeln. Anhand von Pferd und Ausrüstung – denn was wäre das Reiterleben nur ohne Klischees? Und schaut man ein bisschen länger, bekommt man die ganz schnell bestätigt.

Noch ist die Reithalle leer. Man kann aber den Eingang sehen.
Auf dem Vorplatz allerdings kann man schon erahnen, was los ist. Schließlich ist draußen Winter und es taucht ein vollkommen eingedecktes Pferd auf. Und die durchgestylte Reiterin, die ihr Liebchen modisch in Eskiii gekleidet hat, darf natürlich auch nicht fehlen?
Na? Was kommt jetzt? Eine sinnvolle Arbeitseinheit? Sie geht nur an der Halle vorbei? Ach, Unsinn, die bestätigt alle Klischees – Eskiii-Deckchen (das nur drauf war, um bis zur Halle zu gehen) runter, keine Lockerungsübung – Laufenlassen ist angesagt. Die Halle ist schließlich leer, das Pferd knackefrisch, da muss das auch mal sein. Trocken geführt wird auch nicht, das Pferd bekommt sein Deckchen und verschwindet pumpend in der Dunkelheit. Mit der gestylten Frau.

Da kommt noch jemand, Tinkerreiterin, dick eingemummelt, lustiges Stirnband in Quietschorange, Figur unter Daunenjacken nach Zwiebelprinzip nicht erkennbar. Hat ein bisschen was von Michelinmännchen. Geht Schritt und starrt auf ihr Handy. Tippe stark auf: Ich brauche einen Gewichtsträger – also nehme ich den Tinker – Freizeitreiter – Nichtskönner. Geht aber weiterhin Schritt.

Sie bleibt nicht allein, Mutti mit Dreieckszügeln betritt die Halle. Hat farblich alles abgestimmt und aus den Bandagen spontan Kniestrümpfe gemacht. Dreieckszügel sind jetzt schon drauf, hat sie vermutlich vor der Halle gemacht. Reiht sich neben der Tinkerreiterin ein und klönt, während ihr Pferd krampfhaft nach außen schaut. Ich hoffe, dass es nur an den Dreieckern liegt.

Weil zwei zwar eine runde Zahl ist, aber definitiv zu wenig für eine gute Reiteinheit, folgt noch eine Dame mit Carrot-Stick und langem Seil – zu kurz für eine Longe, zu lang für einen normalen Strick. Ähnlich gekleidet wie die Tinkerreiterin. Vorfahrtsregeln sind nicht so ihrs, die geht einfach rein, was das Pferd mit den Dreieckszügeln und den Kniestrümpfen irgendwie doof findet. Es bockt leicht, aber Mutti lässt die Gerte flitschen und die Tinkerreiterin reitet einfach drum herum. Einhändig.

Zu guter Letzt gesellt sich noch eine weitere Ton in Ton Dame dazu, lackschwarzes Pferdchen, der nächste Totilas, ganz sicher. Hat natürlich keinen Helm auf … oh, Moment, doch der baumelt am Arm. Gilt das als Modeaccessoir? Das kenne ich noch nicht.

Als ich mich kurz abwende, werden meine Klischees im Kopf durcheinander gewirbelt. Zumindest zum Teil – die Bodenarbeitsfrau hat nämlich ein buntes Hütchen in die Mitte gestellt – was zu einer interessanten Kettenreaktion führt.
Das Dreieckszügelpferd mit Mutti schießt los und das Bodenarbeitspferd schießt los. Beide wild buckelnd, Mutti kreischt, Bodenarbeitsfrau jammert. Die Klischeedressurtussi und die Tinkerreiterin stehen in der Ecke und quatschen. Während sich die Klischeedressurreitertussi den Helm aufsetzt, reitet die Tinkerreiterin dann auch los – in schniekem vorwärts-abwärts, wie aus dem Lehrbuch.

Merke: Never judge a book by it’s cover. Es ist eine 50/50 Chance. Die geht ja bekanntlich auch beim Jauch mal schief.

Foto: Glotzt gerade auf einen Reflektor. Nicht geheuer!