Im Stall ist immer etwas los. Primär nicht, weil es so viele Pferde dort gibt, sondern weil die unterschiedlichsten Reiter aufeinander prallen. Leider nicht aus guten Gründen, weil der eine dem anderen etwas zeigt – nein. Sondern aus den negativen Gründen: Meinungen kollidieren und werden künftig schreiend ins Feld gestreut und es gibt Knatsch. Wegen jedem Scheiß: “Die Susanne hat nicht gegrüßt, die hochnäsige Kuh!” – “Die Bärbel hat nicht gekehrt, die alte Schlampe, nur weil die schnell in die Klinik musste – das ist ja wohl kein Grund!” … na, man kennt das ja. Es wird ständig gekabbelt. Bei den Erwachsenen. Ist es eigentlich ein Wunder, dass die Kinder dann nicht besser drauf sind? Sie sind ein Spiegel dessen, was die Erwachsenen in ihrer Freizeit anzetteln. Ich möchte euch heute also mal eine Geschichte erzählen. Aus meiner Kindheit. Sie ist beispielhaft für Dinge, die in einem Stall passieren. Und sie ist beschämend. Auch für mich.
Wir waren eine eingeschworene Gruppe Reitschulkinder. Fünf an der Zahl, immer zusammen in der Stunde, wir waren vielleicht elf oder zwölf. Der letzte Platz unserer Reitstunde wurde von wechselnden Gästen besucht. Auch von einem dicken, recht naseweißen Mädchen mit zweifelhafter Reitkunst. Es ist wohl kein Geheimnis – der Störenfried war unbeliebt. Sie meckerte mit den Pferden, zog ihnen im Maul herum, pöbelte … natürlich gab das Kontra. Im Endeffekt ist es auch egal, wer das Theater angefangen hat – wir waren eine eingeschworene Clique, wollten das Mädel nicht dabeihaben und haben sicher auch dafür gesorgt, dass die sich unwohl fühlte. Und sie hat unsere Aufmerksamkeit gesucht. Nüchtern betrachtet, über all die Jahre hinweg.
Eine aus unserer Gruppe besaß ein eigenes Pony. Alle anderen waren “nur” Reitbeteiligungen und Schulpferdereiter. Tja … bis also das “neue” Mädchen von ihrer Mutter eines der Schulpferde gekauft bekam. Eine ältere Stute, ein Anfängerpferd. Eigentlich eine super Wahl für ein etwas unsicheres Kind, das reiten lernt. Die Stute war nicht hübsch aber lieb, sicher, eben all das, was man so schätzt an einem Anfängerpferd.
Etwas, das wir Lästerziegen nicht zu schätzen wussten. Wir wollten ja schließlich die schwierigen Pferde, auf die sich nicht jeder traut. Das Babyanfängerpferd? Pah. Wir hörten also, dass dieses Mädchen besagtes Pferd bekam. Und was taten wir? Na, wir schauten uns unsere großen Vorbilder an und lästerten.
“Ha, habt ihr gehört? Die bekommt die Perla!”
“Selbst mit der kommt die doch gar nicht klar.”
“Das arme Pferd, die ist doch viel zu dick!”
Gleicht irgendwo den Facebook Ergüssen, die man heute so lesen darf, nicht wahr? Und wisst ihr was? Alle waren neidisch. Natürlich. Die bekommt ein Pferd und wir nicht. Hätten wir natürlich nie zugegeben.
Es kam also der große Tag für das Mädchen, die Stute war ihr Pferd und sie wollte das erste Mal alleine reiten, bevor sie am nächsten Tag mit uns in die Reitstunde ging. Wir hatten uns oben im Stübchen versammelt und gafften am Fenster. Da konnte sie nämlich nicht sehen, wie wir uns die Nase platt drückten und kicherten. Ist doch viel einfacher, wenn die nicht sieht, wer lacht.
Wie schon erwähnt, das Mädchen war pummelig. Und nervös, so das erste Mal mit dem eigenen Pferd. So nervös, dass es sich auf das Pferd übertrug und als sie es in die Mitte führte, wollte die Stute nicht mehr stehenbleiben, damit das Mädchen aufsteigen konnte.
In der Halle war außer ihr nur eine ältere Dame, die ihr Pferd longierte, aber nicht weiter auf das Mädchen schaute. So stand sie (und ich habe das Bild noch sehr genau vor Augen), ziemlich traurig in der Mitte, kämpfte mit ihrem neuen Pferd und kam nicht in den Sattel, weil ihr Schwung und Bewegung einfach fehlten. Alles nicht wirklich schlimm. Oder besonders lustig.
Haha! Doch, für uns schon. Was haben wir da gelacht. Lautstark. Das ganze Stübchen aufgescheucht.
“Guck mal, die blöde Nuss. Nicht mal auf DIE Stute kommt die drauf. Haha, warum hat die bloß ein Pferd?”
Wir kicherten also lustig drauf los. Merkten gar nicht, was um uns herum passiert. Da hatten sich nämlich zwei Damen hinter uns aufgebaut. Nein, nein … nicht die Mutter des Mädchens. Eine Dame, die bis Klasse S Unterricht gab und die Mutter der einzigen Pferdebesitzerin in unserer Runde.
“Was macht ihr da?”
“Gucken.” Huch … wieso schauen die denn so böse?
“Lacht ihr die gerade aus?”
Und die Tochter wurde mutig: “Ja, guck mal, die kommt nicht mal hoch. Ist das nicht witzig?”
Ungefähr da muss sich die Gesichtsfarbe der beiden Damen verfärbt haben und wir kassierten den Anschiss unseres Lebens.
“Sagt mal, spinnt ihr? Das Mädel ist jünger als ihr und man sieht, dass sie Hilfe braucht. Und keiner von euch Dummbeuteln geht runter und hilft ihr mal das Pferd festzuhalten? Ihr sitzt hier und lacht? Worüber? Dass die ein eigenes Pferd hat und ihr nicht? Ist das witzig? Ihr seid neidisch, sonst gar nichts. Euch anderen kann ich nichts sagen, aber DU …”, dabei zeigte sie auf ihre Tochter. “Gehst jetzt runter und hiflst ihr. Sonst ist der Stall für dich den nächsten Monat gestorben.”
Übrigens: Das Stübchen war voll. Unsere super coole Clique war spontan von zwei Leuten so was von gedemütigt worden. Zurecht. Man hätte am besten einen Aushang gemacht, so im Nachhinein.
Ich schwörs euch, wir haben uns alle im Stall verkrochen, nachdem wir dem Mädchen geholfen hatten. Unsere Reitlehrerin gab uns dann auch am nächsten Tag gleich den nächsten Anschiss zur Reitstunde. Die Bügel sahen wir auch erst Mal die nächsten Wochen nur zum warmtraben.
Warum ich die Geschichte erzähle? Weil ich einfach mal darüber sprechen möchte, was wir Erwachsenen Kindern vorleben. Wir waren keine Asikinder, die nur auf Lästereien und Blödsinn aus waren. Ich behaupte, wir waren ganz normale Kinder. Und wir taten das, was die Erwachsenen uns mit ihren Streitereien im Stall vorlebten.
Ich schwöre euch, ich sehe immer noch im Geiste dieses Mädchen in ihrem rosa T-Shirt und der roten Reithose, wie sie hilflos mit ihrem ersten Pferd in der Mitte steht und nicht weiß, wie sie hochkommen soll. Während wir im Stübchen sitzen und lachen. Eine absolut demütigende Situation.
Wenn ihr also gerade mal in Rage seid und diese eine Einstellerin, die ja sowieso keiner leiden kann, mal wieder zum Thema wird: Überlegt mal, was ihr damit anderen signalisiert. Erst Recht Kindern. Und ob ihr wirklich nur doof lästert, oder wenigstens zu dem steht und das der Person ehrlich ins Gesicht sagen könnt. Das wäre auch schon viel Wert.
Und ob man, wenn jemand Hilfe braucht, nicht trotzdem helfen kann. Denn man selbst freut sich auch über Hilfe. Egal von wem. Denn ein Pferd kann nie etwas dafür, was Frauchen und Herrchen für Beef mit anderen Mitreitern anzetteln.
Foto: Was man nicht alles so auf der Weide findet … Er spielt gerne Hufeisenwerfen.