Alle Reiter wollen eine weiche Hand haben. 90% der Reiter behaupten auch einfach, dass sie eine SEHR weiche Hand haben. Weil, wenn sie das nicht tun, flippt ja alle Welt aus. Glaubt mir aber, diese Zahl ist völlig übertrieben und haltlos. Schon allein dann, wenn der Moment kommt, wo es zwar furchtbar hübsch aussieht, aber die weiche Hand dem Reiter einen Scheißdreck bringt. Ich möchte euch das gerne mal illustrieren. An meinem Pferd … der ist nämlich ein Paradebeispiel dafür, dass schön halt trotzdem manchmal scheiße ist.
Wir sind auf dem Platz. Das Pferd ist wie immer: Ersten paar Runden hat er Narkolepsie, bis man irgendwann mal merkt: Oh, die meint das ernst mit dem Reiten. Wir machen uns warm, bisschen leichttraben am langen Zügel. Da tut das Pferd nämlich so, als würde er immer knallekurz gehalten und streckt sich wie ein Weltmeister. Und dann sind einfach die Zügel irgendwann zu Ende. Das Pferd ist aber länger als drei Kilometer Baumwollzügel. Dann wird genölt. Geht da nicht mehr? Mehr mehr mehr? Pferd nimmt den Kopf hoch und sperrt. Ihhhhh! Die Frau hält mich mit ihren durchhängenden Fahrleinen fest. Hallo, Sie! Ja, Sie an der Bahn. Sehen Sie nicht das Unrecht, das hier auf dem Platz geschieht?
Ich gehe kurz Schritt. Schritt ist so was wie der Reset Knopf am Computer. Er vergisst dann gleich, dass er eben noch meinte, ihm wären die Zügel zu kurz. Ich darf wieder antraben. Habe ich schon mal erwähnt, dass ich froh bin, weil das Pferd bisschen doof ist? Gut. Ich trabe also weiter warm, bisschen Kringel, bisschen Schlangenlinien und kürze so langsam die Zügel. Immer ein bisschen, damit der Schlingel mit der Zügelkurzphobie das nicht merkt. Ist immer ein Glücksspiel. Merkt er das gar nicht, habe ich die beste Reitstunde der Welt. Merkt er es, habe ich die dümmste Reitstunde der Welt, bis er vergisst, dass die Zügel kurz sind und dann ist wieder alles gut. Da wir heute ja mal über die weiche Hand reden wollen – er merkt es – nur so als kleiner Spoiler. Und heute findet er das richtig doof. Ich kann natürlich jetzt schön weich locker die Zügel immer wieder ein Stück kürzen.
Was hat das zur Folge? Dass mein Pferd sich an sämtliche Rennerziehung erinnert (die er zu aktiver Zeit offensichtlich NICHT behalten hat, sonst hätte der ja mal was gewonnen) und fängt das Laufen an. Was kann ich jetzt tun? Meine smoothe, ultra weiche Hand, mit der man Babypopos pudern könnte, weiter so ultra flauschig weich lassen. Auch in den Paraden natürlich. Welchen Effekt hat das? Am Ende hat das Pferd sämtlichen Zügel im Maul und wahrscheinlich liegen wir auf der Nase, weil er im früheren Leben nicht nur Galopper war, sondern auch gehbehinderter Renntraber mit Motocrossanleihen.
Tja, was tun? Meine Paraden kommen irgendwo bei meiner Omma an, aber nicht beim Pferd. Stimme? Haha. Nein.
Ich lasse also mal die Hand stehen. Die böse, harte Hand. Mache mich so richtig fest. Boing! Pferd steht. AUA!!!! Sagt er. Ich sage: „Ja, richtig! Wäre cool, wenn du das nicht mehr machst.“ Je nach Laune sagt er dann: „Ach so … sag das doch gleich.“ Und töffelt dann in manierlichem Tempo wieder los. Schlechte Laune führt zu: „Hilfe, Hilfe Misshandlung und ich muss davor weglaufen!“ Da kann die Hand danach noch so weich sein, siehe Absatz davor: Pferd hustet mir was. Fange ich an, Kringel zu reiten und Übergänge zu fordern, wird er natürlich langsamer und aufmerksamer. Aber: sobald kein Kringel und kein Übergang mehr da sind, da legt das Pferd auch wieder los. In seinem Kopf wohnt nämlich ein Urzeitkrebs und der sagt zwei Sachen: Rennen und: Nicht Rennen.
Der Reset Knopf funktioniert trotzdem manchmal. Selbst wenn er sich 20 Minuten am Stück aufgeregt hat. Nicht immer, aber immer öfter. Mittlerweile sage ich auch immer: Ich habe eine weiche Hand – sofern man die denn gebrauchen kann. Falls nicht – nein, dann habe ich auch mal keine weiche Hand. Ist ja schön, wenn dem Pferd das Schnütchen gepudert wird. Wenn es dann aber wie ein Brummkreisel durch die Halle rennt, dann kann ich mir meine weiche Hand auch sonstwohin stecken. Braucht dann auch kein Mensch mehr.
Foto: Der Übeltäter.